Uschi Zietsch [Hrsg.]: Wiener Roulette. Fabylon 2006, ISBN 3-927071-15-3, Paperback 12,1 cm x 20,0 cm, 234 Seiten, 10,00 Euro, auch als auf 50 Exemplare limitierte, numerierte und signierte Ausgabe mit DVD »Der Tschick« für 25,00 Euro
enthält: (* keine SF)
Schnurrig-humorvolle Einführung ins Buch, in der treffsicher die Stärken und (vermeintlichen) Schwächen der Geschichten aufs Korn genommen werden. Unbedingt nach der Lektüre des Buches nochmal lesen! In einer Sache allerdings irrt Rottensteiner: Die Bayern sind nicht »das missing link zwischen Österreichern und Menschen«, sondern lediglich durch die langjährige deutsche Besatzung ansatzweise kultivierte Nordösterreicher. ;-)
Michael ist eine Filzlaus. Will heißen, er macht beim Wiener Roulette mit, einem Pilotprojekt zur Sicherung der (sowieso nur noch bis zum 70. Lebensjahr gezahlten) Rente. Dabei setzen Rentner und Filzlaus beide ihr Leben aufs Spiel - es muß nur mit etwas Phantasie wie ein Unfal aussehen. Dabei gibt es verschiedene Beweggründe: Manche möchten nur ihr Rentenkonto auffüllen, andere arbeiten mit der Mafia zusammen oder begleichen alte Rechnungen...
Diese Kurzgeschichte ist eigentlich eine Sammlung von sieben Kurzgeschichten, bei der die Geschehnisse fortlaufend, aber immer wieder aus einem anderen Blickwinkel heraus erzählt werden. Dabei hat jede Geschichte ihren eigenen Stil und Charme. Die Autoren versuchen sich gegenseitig mit skurrilen Ideen zu übertreffen. Durch ihre Komplexität die beste Geschichte des Buches.
Bei einem Elternabend in der Schule zeigen zwei Karrierefrauen ihr wahres Gesicht...
Nette kleine Geschichte in Form eines kurzen Theaterstücks, die aus einer Alltagssituation plötzlich ins Phantastische wechselt. Nicht daß die gemachten Beobachtungen unzutreffend wären...
Thaddeslav Wyrmbrom ist Dämon dritter Ordnungsklasse und muß gemäß Nichtangriffspakt zwischen Himmel und Hölle von 1648, ergänzt durch die Zusatzvereinbarungen von 1914, wiederum ergänzt 1939, für den obersten Höllenfürsten einer Beschwörung folgen. Die Beschwörung wird von einem Hofrat (und FPÖ-Wähler!) im österreichischen Verteidigungsministerium durchgeführt, der Hilfe bei den ministeriuminternen Intrigen benötigt.
Eine herrlich verschroben-humorvolle Geschichte, bei der ich mich köstlich amüsiert habe! Dabei nutzt Thurner die gute Gelegenheit und zieht gnadenlos über in- und ausländische Politiker and andere Peinlichkeiten her. Seien es die vielen Hinrichtungen in Texas, der US-amerikanische Puritanismus, die FPÖ oder auch viele Horror-Klischees, alles bekommt sein Fett weg. Man beachte auch die Jahreszahlen der Verträge zwischen Himmel und Hölle - immer mit einem Krieg verbunden. Eine geniale Geschichte, die ich nur empfehlen kann!
Zunächst ein kleiner Wasserdieb, dann ein kleiner Wasserpolizist, hat Roli die Kurve gerade noch rechtzeitig gekriegt durch die Hilfe des unkonventionellen Komissars Franz. Der bekommt schließlich Informationen über einen geheimen Bergsee in die Hände gespielt, und so macht sich Roli auf den Weg...
Vlcek zeichnet eine düstere Zukunft, in der die Umweltverschmutzung sämtliches Oberflächenwasser vergiftet hat und das von der internationalen Staatengemeinschaft isolierte Österreich sich de facto im Griff des multinationalen Konzerns ALPINAQA befindet. Wie ernst dessen Werbespruch »Besser als die Natur« zu nehmen ist, muß Roli in der Schlußpointe erfahren.
Chrysiridia erfährt von Herrn Sommer, daß der Simmerl Wien (die Stadt, nicht den Architekten) gefunden und einen Menschen von dort mitgebracht hat, der sich Bradpitt nennt.
Skurril-poetische Geschichte mit einem guten Schuß Homor. Ob diese Geschichte nun Science Fiction ist oder nicht, muß jeder für sich entscheiden - für mich lautet die Antwort ja, denn die seltsame Horde beobachtet den Planeten Erde schon lange. Auf jeden Fall eine Geschichte, die meinen schrägen Sinn für Humor trifft und mir gut gefallen hat.
Der imperiale Schlürfkreuzer Zzuzzl unter Xandor Vnulp strandet nahe der Erde, da der Hämoglobinspiegel des Hauptreaktors zu niedrig ist. Doch leider gibt es auf der Erde noch keine Tankstelle, also schließt Vnulp Verträge mit verschiedenen Fernsehsendern und nutzt die Werbemöglichkeiten, um an sein Ziel zu kommen...
Eine nette Geschichte um eine Alieninvasion der anderen Art, vergnüglich erzählt mit einem kräftigen Schuß Medienkritik.
Ein kleines Mädchen freut sich auf Weihnachten, muß aber Heiligabend bei einer »weihnachtslosen« Nachbarin verbringen.
Regina Lysonek ist der Mädchenname von Ernst Vlceks Ehefrau und Muse. Ihre Geschichte paßt leider nicht so recht in diese phantastische Anthologie, da ihr phantastische Elemente fehlen. Das macht aber nichts, denn die Geschichte ist gut geschrieben und außerdem sehr kurz.
Uschi Zietsch gibt Einblick in die Entstehung der Titelgeschichte »Wiener Roulette«.
Tschick ist ein österreichisches Wort für Zigarette, wird aber auch für Raucher oder »eine Person in nicht besonders gutem Zustand« verwendet. Ernst Vlcek hat den Text eines alten österreichischen Hits (der angeblich auch in Deutschland erfolgreich war) ein wenig angepaßt und mit Perry-Rhodan-Anspielungen versetzt. Ernst Vlcek und Uschi Zietsch kommen als Sandler (Penner) verkleidet auf die Bühne, wobei Vlcek seinen Text vorträgt (sprechend, kein Gesang). Die musikalische Untermalung sowie die einleitende Erklärung besorgt Leo Lukas.
Länge 7:55 Minuten, Format 720 x 576 Pixel, Untertitel in österreichisch und deutsch (sekundäre Untertitel aktivieren). Die Aufnahme wurde mit mindestens zwei Kameras gemacht, ist stellenweise allerdings etwas körnig durch zu schlechte Ausleuchtung. Ein netter Programmpunkt mit österreichischem Charme, den ich mir mit Vergnügen angesehen habe.
Die Anthologie bietet gute Unterhaltung, bei der deutlich Wert auf österreichischen Lokalkolorit gelegt wurde. Dadurch passen die einzelnen Geschichten sich trotz ihrer Unterschiedlichkeit gut in das Buch ein. Dankbar bin ich der Herausgeberin für das Glossar der österreichischen und bayerischen Begriffe und für die biographischen Informationen über alle Autoren. Letzteres wünsche ich mir für alle Bücher - ich wüßte immer gern etwas mehr über den/die Autoren.
Diesmal möchte ich auch auf die buchbinderische Qualität der Anthologe eingehen: Sie ist sehr gut und zum Teil erheblich besser als das, was viele »große« Verlage uns vozusetzen die Dreistigkeit haben, und das zu einem wirklich fairen Preis. Das finde ich erstaunlich und unbedingt lobenswert bei einem Kleinverlag wie Fabylon! Auf dem ColoniaCon 2006 hatte ich die Gelegenheit, Verlagschefin Uschi Zietsch kennenzulernen und einen großen Teil des Verlagsprogramms zu begutachten: Die buchbinderische gute Qualität erstreckt sich auf das gesamte Programm! Dafür ein dickes Danke und die Hoffnung, daß andere Verlage sich daran ein Beispiel nehmen!
Fazit: Eine Anthologie mit österreichischem Lokalkolorit und einigen guten und vergnüglichen Geschichten. Insgesamt empfehlenswert.
Besonders gefallen haben mir:
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Liste meiner Rezensionen
Listen mit deutscher Science Fiction
Erstellt am Mio, den 30.08.2006 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Fre, den 25.04.2008 um 00:13.