Bastian Wierzioch: Doch dunkel. Leipzig 2010: Plöttner Verlag, ISBN 3-938442-82-4, Hardcover mit billiger Leimbindung 13,5 cm x 20,4 cm, 142 Seiten, 14,90 Euro
Felix Steiner, arbeitsloser Bauingenieur, findet sich plötzlich in einer anderen Welt wieder, die offenbar eine kriegerische Militärdiktatur ist. Er versucht nicht aufzufallen, findet weitere Menschen, die wie er von einer in die andere Welt gekommen sind, und versucht mit ihnen einen Rückweg zu finden.
Auf dem Umschlag des Buches steht klein das Wort »Roman«. Klein möglicherweise, um es nicht zu weit zu treiben, denn das hier mutet für einen Roman recht ungewöhnlich an. Die Seiten sind senkrecht geteilt und immer zur Hälfte leer - auch eine Methode, die Seitenzahl hochzutreiben... Auf der linken Seite steht, was Felix Steiner hört und sagt (letzteres kursiv), auf der rechten, was er liest und denkt (letzteres in anderer Schrift) - innerer und äußerer Kosmos fein säuberlich getrennt. Es gibt keinerlei Beschreibungen, Erzählungen, Erklärungen, nur Dialoge, Gedanken und Gelesenes. Im Grunde handelt es sich also um den Textauszug eines Comics, nur die Sprech- und Denkblasen sowie schriftliche Informationen. Ich nenne diesen Comic ohne Bilder jetzt mal Comiclibretto. Statt »Roman« sollte also »Comiclibretto« auf dem Umschlag stehen. Der Autor ist sich dessen anscheinend bewußt - die Comicfigut Kito taucht in der Parallelwelt als (möglicherweise) reale Person auf.
Keine der Szenen ist sonderlich lang, und dem Autor scheint es Spaß zu machen, den Leser im Ungewissen zu lassen, denn immer, wenn eine Szene interessant wird oder etwas über diese seltsame Welt in Erfahrung zu bringen ist, endet die Szene unvermittelt. Dadurch muß der Leser die Geschichte zusammensetzen wie ein Puzzle, dem viele Teile fehlen. Selbst das Buch als Ganzes bricht ab, als es richtig interessant zu werden beginnt - oder es ist von Vornherein eine Fortsetzung geplant. Das erschwert Lesen und Verständnis deutlich. Die Reduktion des Buches auf Dialoge, die bei mehreren beteiligten Personen oft nur schwer zu sortieren sind, und die Gedankenwelt der Hauptperson nutzt die meisten der besonderen Möglichkeiten des Mediums Buch nicht, eine weitere Erschwernis des Lesens und Verstehens. Erstaunlicherweise funktioniert diese destillierte Schreibweise besser, als ich es für möglich gehalten hätte. Wenn sich ein Künstler fände, wäre es interessant zu sehen, wie der Text im Kontext eines vollständigen Comics wirken würde.
Die Sprache wirkt ziemlich dilettantisch, ihre Wirkung ist aber vermutlich beabsichtigt. Die Dialoge sind überwiegend normal geschrieben, wobei Steiners Beiträge oft stotternd oder brabbelnd daherkommen. Seine Gedanken sind ziemlich konfus, dekohärent und sprunghaft. Kurze Sätze. Wenig Verben. Ach! Ja, Interjektionen auch. Und ein paar gedankliche Soundeffekte. Bei dieser skelettartigen Schreibweise von Stil zu sprechen ist fast schon ein Oxymoron. ;-) Nun ja, er ist auf das allernötigste reduziert und wirkt abgehackt. Eine mich störende Besonderheit ist, daß »du« großgeschrieben wird, obwohl es kleingeschrieben werden müßte, »Sie« hingegen kleingeschrieben wird, was nach der neuen Rechtschreibung erlaubt ist, mir aber nicht gefällt.
Personencharakterisierung findet kaum statt, obwohl der Leser in die Gedankenwelt Steiners blicken kann. Diese allerdings ist konfus, schnell wird klar, daß er der Hellsten keiner ist. Ich frage mich sogar, wie er ein Bauingenieurstudium bestanden hat - obwohl, mathematisch-physikalische Formeln lesen kann er. ;-) Leider entwickelt sich Steiner nicht weiter, er bleibt jemand, der sich leicht beeinflussen und in die gewünschte Richtung schieben läßt.
Die Welt, aus der Felix Steiner stammt, scheint ein weiterentwickelter Kapitalismus zu sein, in der der Konzern "Mr. Suko" eine Monopolstellung in den meisten Bereichen erreicht zu haben scheint. Genaue Informationen erhält der Leser nicht, auch findet keine Kritik an den mitunter seltsamen Zuständen statt. Die Parallelwelt, in die Steiner dann gerät, wirkt wie eine Mischung aus seltsam verändertem Nationalsozialismus, Kommunismus, Religionsfeindschaft und eventuell noch anderer kruder Extremismen. Aus mir nicht klarem Grund fiel mir zum Namen Steiner der Filmtitel »Steiner - das eiserne Kreuz« ein. Erst zum Ende des Buches wird erklärt, wie es zur Parallelwelt kommen konnte. Eine Auseinandersetzung mit dieser Welt findet allerdings nicht statt, sie wird einfach nur als schlecht hingestellt. Der düsteren, dreckigen und diktatorischen Parallelwelt wird die extremkapitalistische Ursprungswelt als fast paradiesisch gegenübergestellt, wobei Vergleich und Kritikder Gesellschaftsformen nur äußerst oberflächlich erfolgen. Hier verschenkt der Autor leider viel Potential.
Fazit: Ein ungewöhnliches Leseerlebnis, das besser als erwartet funktioniert, letztlich aber zweidimensional bleibt und sich mit den angedeuteten Gesellschaftsformen kaum auseinandersetzt. Nur bedingt empfehlenswert.
Copyright ©2010 Martin Stricker.
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Erstellt am Fre, den 23.07.2010 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Mio, den 28.07.2010 um 22:47.