Volker Strübing: Das Paradies am Rande der Stadt. [yedermann Verlag 2005, ISBN 3-935269-30-7, Paperback 11,6 cm x 18,4 cm mit Klappbroschur, 211 Seiten, 12,90 Euro
Der Konzern Eden, gegründet von Prof. Lösser, bietet Freiwilligen (und von Kopfgeldjägern erbeuteten nicht so Freiwilligen) das Paradies auf Erden in Form virtueller Realität mit einem ins Gehirn implantierten Interface. Den meisten im zersplitterten Deutschland und sonstwo auf der Erde ist das egal, nur ein paar Idealisten wie »Dante« versuchen, Edens Computer zu knacken.
Ein weiterer Roman über virtuelle Realität und wie Menschen sich darin verlieren können. Die Idee ist keineswegs neu, wird von Strübing aber nett ausgestaltet: Ein paar Anarchos in einem der Vororte der neopreußischen Hauptstadt Berlin versuchen, einen der leistungsfähigsten und bestabgeschirmtesten Computer zu knacken. Nette Charaktere, in die man sich hineindenken kann, mit Ecken und Kanten. Die gezeichnete nahe Zukunft ist durchaus realistisch: Multinationale Konzerne haben ihren eigenen Sitz in der UNO, ihre Niederlassungen sind exterritorial und die Jugend wird übers konzernkontrollierte Internet indoktriniert. Sogar im Buch finden sich Werbeblöcke! Besonders angenehm fällt auf, daß der Autor seine Geschichte kompromißlos bis zu Ende erzählt. Sehr schön ist auch, wie die Olsenbande ihre virtuelle Auferstehung erlebt - mächtig gewaltig! Die religiösen Anspielungen sind richtig bissig.
Wieder ein Berlin-Roman (nach »Run Rabbit Run« im letzten Jahr) - irgendwas muß diese furchtbar häßliche Stadt wohl haben. Mir soll es recht sein, solange brauchbare Ergenisse wie dieser Roman dabei herauskommen. Der Roman weist eine gute Portion bissigen Humors auf, über den scharfe Gesellschaftskritik formuliert wird. Dabei hat sich der Autor kaum auf die im Roman praktisch bedeutungslosen Politiker und auch weniger auf die mächtigen Konzerne, sondern vielmehr auf Religion und Ersatzreligion eingeschossen. In die Richtung geht auch die Hauptfrage des Buches: Ist ein künstliches Paradies, das man nicht vom echten unterscheiden kann, nicht genausogut wie das echte?
Fazit: Man sollte sich vom trashig-altertümlichen Titelbild nicht abschrechen lassen. Das Buch ist aktuell und hat eine (eigentlich sogar mehrere) Aussagen. Außerdem eine nette, teils skurrile und konsequent erzählte Geschichte. Der Roman ist zwar nicht überragend, aber im oberen Mittelfeld angesiedelt. Es hat mir richtig spaßgemacht, das Buch zu lesen.
Copyright ©2005, 2006 Martin Stricker.
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Erstellt am So, den 11.12.2005 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am So, den 14.05.2006 um 21:19.