Mike Shepherd: Kris Longknife - Defiant [Kris Longknife Band 3]. Penguin/ACE Feb. 2004, ISBN 0-441-01349-X, Taschenbuch 10,7 cm x 17,1 cm, 391 Seiten, 7,99 US-$
Kris kommandiert ein Schnelles Angriffsboot, die PF-109. Ziel diese Boote, die aufgrund fehlender großer Reaktoren ihre einmal abgefeuerten 18-Zoll-Zwillingslaser erst im Hafen wieder aufladen können, ist ein schneller Angriff auf ungeschütze große Kriegsschiffe, um sie für andere Angriffe wehrloser zu machen. Bislang sind die Ergebnisse dieser Boote eher bescheiden, doch Kris hat mit einer neuen Taktik Erfolg: Wenn zwei Boote ihre Laser gleichzeitig auf genau dieselbe Stelle richten, sollten sie durch die Armierung aus Eis und Stahl bis tief ins Innere des gegnerischen Raumschiffs vordringen können. Zurück im Hafen dringen Armeesoldaten in die PF-109 ein und verhaften Kris. Erst am nächsten Morgen wird sie wieder auf freien Fuß gesetzt und erfährt, was passiert ist: Ihr Vater wurde durch ein Mißtrauensvotum abgelöst, und ihr wird Unterschlagung von Hilfsgeldern auf Olympia (siehe Band 1 "Mutineer") vorgeworfen. Der neue Premierminister Mojag Pandori war immer nur Oppositionsführer (erst war Alex Longknife Premierminister, jetzt war es William Longknife), hat keinerlei Regierungserfahrung und macht etliche Fehler. So schickt er die *gesamte* Flotte auf eine Propagandamission zum Planeten Boynton in der Hoffnung, daß der Planet den United Sentients beitreten wird. Einwände, daß Wardhaven damit schutzlos ist, wischt er damit beiseite, daß niemand auch nur daran denken würde, Wardhaven anzugreifen. König Ray Longknife schickt Kris zum Planeten Hikila, wo Königin Ha'iku'lani, eine alte Kampfgefährtin Rays während des Iteeche-Kriegs, im Sterben liegt. Da der König aufgrund der aktuellen Regierungskrise Wardhaven nicht verlassen kann, schickt er Kris an seiner Stelle. Das erweist sich als gute Idee, denn auf Hikila gibt es zwischen den traditionell lebenden Nachkommen von Bewohnern der malaiischen Inseln von der Erde, die den Planeten ursprünglich besiedelt haben, und den Nachkommen von Flüchlingen aus dem Iteeche-Krieg, die westlich-industrialisiert auf dem einzigen Kontinent leben, stärker werdende politische und wirtschaftliche Konflikte. Kris bemüht sich, zur Lösung beizutragen, ohne selbst im Mittelpunkt zu stehen, doch dann nehmen Terroristen die meisten Teilnehmer der Verhandlungen als Geiseln... Wieder zurück auf Wardhaven kommt endlich die Hochzeit zwischen Penny und Tom Lien zustande, doch schon während der anschließenden Feier kündigt sich die nächste Krise an: 6 sehr große Kriegsschiffe nähern sich mit offensichtlich feindlichen Absichten dem wehrlosen Planeten. Der neue Premierminister befieht, keine Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen, offenbar hofft er, damit das schlimmste abzuwenden. Kris beschließt, zu versuchen, mit ihren Schnellen Angriffsbooten gegen den Feind vorzugehen. Das muß in aller Stille geschehen, damit weder der Feind noch der neue Premierminister etwas merken. Dazu übernimmt sie das Kommando über die vorhandenen 2 Kriegsschiffe und die 12 Andriffsboote, während ihr Vater und Bruder versuchen, eine Regierung der nationalen Einheit mit dem neuen Premierminister zu bilden und Kris Vorhaben damit zu legalisieren. Schließlich kommt es zum Kampf: 6 richtig dicke Pötte gegen 2 kleine Kriegsschiffe, 12 Schnelle Angriffsboote und einen Haufen bewaffneter Jachten... Ab dem Start des Countdowns 12 Stunden vor dem Zusammentreffen der Verteidiger mit den Angreifern auf Seite 249 wechselt die Perspektive zum kommandierenden Admiral der Angreifer, später auch noch zu anderen Perspektiven (und natürlich immer wieder zurück zu Kris). Das ist das erste Mal in den drei ersten Kris-Longknife-Bänden, daß die Geschichte nicht ausschließlich aus der Perspektive von Kris geschildert wird. Das ist eine positive Entwicklung, denn Schilderungen aus verschiedenen Perspektiven erlauben ein besseres Verständnis der Situation und der Motivation der verschiedenen Seiten und Personen. Das richtige Handling der verschiedenen Stränge und die richtige Stelle zum Hin- und Herspringen zu finden ist nicht einfach, damit zeigt sich hier eine Weiterentwicklung des Autors. Auch an anderer Stelle hat Mike Shepherd aus den Fehlern des zweiten Bandes gelernt: Er versucht nicht mehr, die Haupthandlung (Angriff auf Wardhaven) irgendwie auf die vom Verlag gewünschte Seitenzahl zu strecken, sondern verwendet wieder wie schon im ersten Band mehrere Einzelgeschichten. Zunächst gibt es eine Einführung in Form des Testangriffs der Schnellen Angriffsboote und der folgenden Verhaftung von Kris und Entmachtung ihres Vaters. Statt diese interessante Entwicklung weiterzuverfolgen, entscheidet sich Shepherd dafür, einen Exkurs nach Hikila zu machen. Nach der Rückkehr von Hikila hat sich das Thema Verhaftung schon erledigt und wird in ein paar Sätzen abgehandelt. Das finde ich schade, denn das Thema hatte einiges Potential. Der Ausflug nach Hikila ist aber auch prima, speziell was die Kleiderfrage angeht - wie schon erwähnt haben sich die ursprünglichen Bewohner dafür entschieden, die alte Lebensweise der Südsee wieder aufleben zu lassen, und darin kommt nicht viel Kleidung vor. ;-) Kris traut sich, die herrschende Kultur zu respektieren und sich entsprechend zu kleiden. Als Prinzessin Ha'iku'aholo ihre Verhandlungsinitiative mit den Kontinentbewohnern startet, gibt ihr Kris den Rat (und die Kleidung, einziger Deus-ex-machina-Auftritt von Kammerzofe Abby in diesem Buch, was eine weitere Verbesserung zu Band 2 ist), sich ebenfalls anzupassen. Guter Hinweis auch für echte Politiker und Touristen: Einfach mal ans Gastland anpassen! In den beiden ersten Bänden hat Shepherd politische Aussagen möglichst vermieden. Im dritten Band ändert sich das ein wenig, hier gibt es ein paar vorsichtige Aussagen, insbesondere bezüglich des Sturzes von Premierminister Billy Longknife. Der neugewählte Premier Pandori (der Name ist möglicherweise eine Anspielung auf die Büchse der Pandora aus der griechischen Mythologie) kommt sofort an die Macht, hat aber keine funktionstüchtige Regierung parat, was den Planeten schwächt und einer der Hauptgründe für das Timing des Angriffs ist. Shepherd macht auch eine klare Aussage zugunsten des Umweltschutzes, was für US-Amerikaner leider immer noch ungewöhnlich ist: Auf Hikila ist es den Einwohnern der Großen Insel nicht gestattet, Fischtrawler außerhalb eines schmalen Streifens entlang der Küste einzusetzen. Das entspringt der Einsicht, daß die Meeresölologie einfach zu komplex ist, um starke Fischerei auf Dauer zu übersehen. Diese wissenschaftliche Tatsache wird leider noch kaum von unseren Politikern hier auf der Erde akzeptiert, dabei gibt es bereits viel zu viele Beispiele, so den Kabeljau (Gadus morhua L., auch Dorsch genannt). Er war einst der beliebteste Speisefisch der westlichen Länder und auch eine der verbreitetsten Fischarten weltweit. Durch die Überfischung ab etwa 1950 wurde der Kabeljaubestand soweit verringert, daß sich seit Ende der 1970er Jahre der kommerzielle Fang nicht mehr lohnte. Seitdem hat sich der Bestand aber nicht etwa erholt, sondern weiter verringert, denn durch seine nun zu geringe Zahl kann sich der Kabeljau nicht mehr dagegen wehren, daß andere Fische seine ökologische Nische einnehmen. Das ist insbesondere der als Speisefisch unbedeutende Knurrhahn. Als auf Seite 306 der eigentliche Kampf losgeht, verwendet Tom Lien ein »altes Lied von der Erde«, um die Kämpfer anzufeuern. Aus dem Vorwort geht hervor, daß es sich um »The March of Cambreadth« (Text und MP3 zum Anhören) der Künstlerin Heather Alexander handelt, zu finden auf ihrem Album »Midsummer«, bestellbar über ihre Homepage www.heatherlands.com, wo man sich dieses Lied auch online anhören kann. Damit ist Mike Shepherd schon der dritte US-amerikanische SF-Autor (nach John Ringo und S. M. Stirling), der dieses Lied in seinem Werk verwendet.
Im Gegensatz zu vielen Geschichten im Subgenre Military Science Fiction beschreibt Mike Shepherd bereits die Vorbereitungen zur Verteidigungsschlacht um Wardhaven mit großer Akribie. Er läßt dabei auch die kleinen Einzelheiten nicht aus, die andere meist übersehen. So werden alle Zivilisten noch schnell offiziell ins Militär aufgenommen, was auch nach dem derzeit geltenden Völkerrecht auf der Erde nötig ist und Terroristen und Guerillas von anständigen Soldaten unterscheidet. Diese und andere Kleinigkeiten zeigen mir, daß Shepherd eine gute militärische Ausbildung erhalten hat. Dabei gelingt es Shepherd, diese Vorbereitungen genauso spannend und unterhaltsam zu schildern wie den darauffolgenden Kampf. Insgesamt finde ich diese Vorbereitungen viel interessanter als den eigentlichen Kampf, denn hier erfährt man zumindest ein wenig über die Persönlichkeiten der beteiligten Charaktere. Leider sind auch im dritten Band die meisten dargestellten Personen nur Stereotypen, ich habe aber den Eindruck, daß sich auch die Qualität der Charakterdarstellung gegenüber den ersten beiden Bänden, speziell dem zweiten, verbessert hat. Erstaunlich finde ich allerdings, daß nicht eine einzige Person sich gegen die Teilnahme am Kampf entscheidet. Ich finde, hier wird das Heimatverteidigungs-Pathos zu weit getrieben, das ist einfach nicht realistisch, insbesondere nach einer 60jährigen Friedensphase.
Fazit: Popcorn-Kino im Buchformat mit einer sehr kräftigen Portion US-amerikanischem Pathos. Gegenüber den ersten beiden Bänden gibt es deutliche Verbesserungen, jedoch auch einige Schwachstellen, insbesondere die Charakterzeichnung. Gute Unterhaltung, aber ohne jeden Tiefgang.
Copyright ©2007 Martin Stricker.
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Erstellt am So, den 01.07.2007 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Do, den 15.11.2007 um 23:31.