Dane Rahlmeyer: Drachenschiffe über Kenlyn [Kenlyn Band 1]. Hexentorverlag Oktober 2006, ISBN 3-939882-01-1, Paperback 12,5 cm x 20,5 cm, 497 Seiten, 14,90 Euro
Endriel Naguun schlägt sich als Diebin durch, seit sie sich mit ihrem Vater Yanek, einem hohen Offizier der Friedenswächter, überworfen hat. Ihr aktueller Coup, die Entwendung von Artefakten der fast schon mythischen Sha Yang, der inzwischen ausgerotteten Spezies, die die vier Hohen Rassen vom Saphirstern zum Rubinstern führte, klappt auch dank ihrer Freundin Nelen, einer fledermausähnlichen Yadi gut, doch ihr Auftraggeber, ein katzenartiger Skria, haut sie übers Ohr. Während die beiden noch überlegen, wie sie nun zu Geld kommen können, geraten sie zufällig in den Kampf zwischen einem grünäugigen Menschen und einem echsenartigen Draxyll. Die beiden Kombattanten entkommen, doch Endriel und Nelen werden von Friedenswächtern festgenommen und wegen Ruhestörung zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Dort wird ihre Kaution vom Skria Keru gestellt, der ihr eine Nachricht von ihrem Vater bringt: Er ist vor einigen Wochen verstorben. Keru und die Priester-Heilerin Xabash Xeah-Quor, eine Draxyll, waren die einzigen Gefährten ihres Vaters, der sehr unter der Trennung von seiner Tochter gelitten hat. Yaneks Vermächtnis ist die Korona, ein ehemaliges Kurierschiff der Friedenswächter, die Endriel auf die Idee bringt, durch Gründung eines Transportunternehmens ehrlich zu werden, um die nicht an das Netz der Nexusportale angeschlossenen Siedlungen mit schneller und günstiger Transportmöglichkeit zu bedienen. Dazu fliegen sie nach Teriam, der fliegenden Hauptstadt, einer weiteren Hinterlassenschaft der Sha Yang, genau wie Gouverneur Syl Ra Van, ein intelligenter Computer, der seit der Ausrottung der Sha Yang durch den Kult der Schattenkaiser vor etwa 300 Jahren die Geschicke der vier Hohen Völker lenkt. Admiral Andar Telios, ein alter Freund ihres Vaters, teilt Endriel mit, daß der grünäugige junge Mann, den se einige Tage vorher gerettet hat, vom Gouverneur gesucht wird, und daß der Kult der Schattenkaiser wieder auferstanden ist. Doch Endriel hat sich in die grünen Augen verliebt, so daß sie Kai Novus hilft, als er sich auf ihr Schiff schleicht und sie bittet, ihn zu seinem Meister an der Nordküste zu bringen. Nun wird die Korona sowohl von den Friedenswächtern als auch von den Handlangern des Schattenkaisers gejagt.
Zunächst einmal zur Genreeinordnung des Romans: Auf dem Cover steht »Ein phantastischer Roman«. Das ist auf jeden Fall zutreffend. Innen auf dem Titelblatt heißt es dann »SciFi-Fantasy-Roman«. Vermutlich hat jeder seine eigene Begriffsdefinition für die phantastischen Genres, ich jedenfalls kann an diesem Buch außer dem Coverdesign nichts fantasyartiges finden, keine Magie, keine Elfen, Kobolde oder ähnliches. Das mag an meiner sehr geringen Fantasylektüre liegen. Jedenfalls ist »Drachenschiffe über Kenlyn« für mich reine Science Fiction, auch wenn es nicht um Raumschiffe und so weiter geht (wobei zumindest einige der Drachenschiffe zu Suborbitalflügen fähig sind). Vier intelligente Spezies leben mit den Hinterlassenschaften einer ihnen technisch weit überlegenen Zivilisation, deren Funktionsweise sie nicht verstehen, haben dadurch aber wenig Antrieb, eine eigene Technolgie zu schaffen, so daß Technologie und Gesellschaft in einer langsamen, aber stetigen Abwärtsbewegung begriffen sind. Sicherlich ein ungewöhnlicher Hintergrund für Science Fiction, aber nichtsdestotrotz eindeutig SF. Der einzige Punkt, der mir Probleme bereitet, sind die Yadi - wie nur 20 cm große Wesen über Intelligenz verfügen können, ist mir rätselhaft, aber Nelen verhält sich deutlich intelligenter als Endriel (auch wenn sie sich trotz Flugfähigkeit immer brav mitfangen läßt).
Dane Rahlmeyer schafft liebenswerte Charaktere, denen er ohne großen Aufwand Tiefe zu verleihen vermag. Bei den Hauptcharakteren kommt Nelen allerdings etwas zu kurz, von der jungen Yadi erfährt man deutlich weniger als von den anderen. Alle Charaktere handeln nachvollziehbar und eigenständig, auf Klischees und Stereotypen wird weitgehend verzichtet (sie gibt es vor allem unter den Bösewichten). Endriel aus Hauptcharakter wird natürlich am deutlichsten charakterisiert, aber auch die Personen in ihrem Umfeld werden gut dargestellt, auch wenn wie schon erwähnt Nelen etwas vernachlässigt wird.
Der Autor hat einen komplexen Hintergrund für sein zweibändiges Werk geschaffen. Dabei hat er sich etwas besonders raffiniertes ausgedacht: Wenn man genau aufpaßt, kommt man nach einer Weile darauf, wie Kenlyn bei und genannt wird. Auch die technischen Hinterlassenschaften der Sha Yang kommen uns des ofteren bekannt vor. Interessant ist, daß niemand weiß, wie diese Technologie funktioniert und hergestellt werden kann, offenbar haben die Sha Yang das Wissen nicht mit den anderen Hohen Rassen geteilt. Der Hintergrund ist in sich stimmig, interessant und detailliert ausgebaut. Ein wenig schade finde ich allerdings die eingestreuten englischen Scheibweisen (z. B. sh statt sch). Auch kommen erstaunlich viele Ypsilons in den Namen und Bezeichnungen vor.
Beginnt die Geschichte noch harmlos mit einem kleinen (naja, eher mittleren) Diebeszug, stellt sich das bald als kleine Einführung heraus, denn schließlich finden sich Endriel und Nelen unfreiwillig im Zentrum einer planetenweiten Verschwörung und Gegenverschwörung wieder. Ein Spannungsbogen zieht sich durch das gesamte Buch, doch werden Protagonisten und Leser einige Momente zum Atemholen gegönnt. Das geschickte Setzen der Kapitelgrenzen hilft dabei, die Freude am Weiterlesen zu erhalten. Es gibt auch einige wohlplazierte Dosen Humor, die meistens auf Kosten von Endriel gehen, was sie dem Leser nur noch sympathischer erscheinen läßt. Ein wenig Trauer und etwas mehr Verliebtheit runden die emotionale Mischung ab.
***Spoilerwarnung*** Der folgende Absatz verrät einiges über die Handlung. Wer sich vom Buch überraschen lassen möchte, lese bitter erst beim Fazit weiter.
Nachdem schon reletiv früh klar wurde, daß der Saphirstern die Erde und Kenlyn der Mars ist, halten die Sha Yang noch eine Überraschung bereit: Es handelt sich um die Nachfahren der ins Weltall aufgebrochenen Flugsaurier! Keine völlig neue Idee, aber auf jeden Fall ungewöhnlich und gut in die Geschichte eingebaut. Daraus erklärt sich nämlich auch ein großer Teil der im Buch dargelegten Gesellschaft - die Sha Yang müssen im Mittelalter zur Erde zurückgekehrt sein (was freilich die Existenz der drei anderen intelligenten Spezies nicht erklärt). Interessant auch die späte Selbsterkenntnis des letzten Sha Yang, daß sie sich in die Entwicklung auf der Erde nicht hätten einmischen sollen. Sie haben bei ihrer Einmischung offenbar den gleichen Fehler gemacht wie die europäischen Mächte in ihren Kolonien: Sie haben ihr Wissen eifersüchtig für sich behalten, statt den anderen Völkern zu helfen, ihren Lebensstandard zu heben.
***Spoilerwarnung Ende***
Fazit: Ein runder, spannend erzählter Science Fiction Roman der etwas anderen Art. Liebenswerte Charaktere und eine abwehslungsreiche Geschichte mit einigen Überraschungen machen Lust auf mehr - ich warte schon auf Teil 2. Empfehlenswert!
Copyright ©2008 Martin Stricker.
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Erstellt am So, den 13.01.2008 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Do, den 24.01.2008 um 21:44.