Michael Lutz: Brain shot - Wir wissen, was Du denkst

Michael Lutz: Brain shot - Wir wissen, was Du denkst. Seattle (U.S.A.) 2013: Amazon CreateSpace, ISBN-10 1-4937-1992-0, ISBN-13 978-1-4937-1992-1, Paperback 13,9 cm x 21,7 cm, 475 Seiten, 14,95 EUR

In der nahen Zukunft: Der 21jährige Student Orville Spelling hat eine revolutionäre Software mit dem Spitznamen "Big Ben" geschrieben, mit der man die Gehirnströme eines Menschen entschlüsseln kann. Ziel des Forschungsprojekts ist die Kontaktaufnahme mit Komapatienten, doch zur Zeit tötet ein technisches Problem noch jedes Versuchstier. Orville erfährt, daß ihm für "Big Ben" der Nobelpreis zuerkannt wurde - und daß sein Doktorvater Professor Bernard Czyfroff, selbst Nobel-Laureat, alles in seiner Macht stehende getan hat, um dies zu ermöglichen und damit öffentliches Interesse auf die Software zu lenken, weiß er doch, daß hinter den Kulissen Geheimdienste und Militärs bereits darauf warten, "Big Ben" als Gedankenlesegeät für Ihre Zwecke zu mißbrauchen. Zunächst glaubt Orville kein Wort, doch bei einem weiteren Test erscheint eine Fehlermeldung, die unmöglich von seiner Software verursacht worden sein kann. Er beschließt nachzuforschen und stößt auf ein Netzwerk aus Militär und Geheimdiensten, dem jedes Mittel recht ist, um seine Ziele zu erreichen...

Ein spannend geschriebener Thriller mit SF-Elementen, die zeitweise hinter die Verschwörungshandlung zurücktreten, aber letztlich die Handlungsgrundlage bilden und dadurch immer präsent sind. Der Schreibstil ist gut und angenehm zu lesen, der Autor vermeidet bewußt, Pathos zu verspritzen, arbeitet stattdessen gezielt mit der Perspektive "Menschen wie du und ich", um den Leser in die Geschichte zu ziehen und ihn sich damit zu identifizieren. Gleichzeitig erlaubt der Spannungsbogen zwar einige Atempausen, erschlafft aber nie und ermuntert so zum weiterlesen. Dabei fallen dem Autor immer wieder neue interessante Handlungsstränge und Intrigen ein, so daß die Lektüre nie langweilig und auch nicht allzu vorhersehbar wird. Dadurch fällt es schwer, das Buch zur Seite zu legen, auch wenn es aufgrund der Dicke kaum an seinem Tag zu schaffen ist.

Die Protagonisten des Romans sind dreidimensionale Charaktere, die Individualität besitzen und nicht einfach aus Klischees zusammengezimmert wurden. Selbst die Bösewichte sind dadurch in gewisser Weise sympathisch, versteht der Leser doch, wieso sie so handeln, wie sie es tun: Weil sie es für ihre Pflicht halten und das aus ihrer Sicht notwendige tun. Das unterscheidet "Brain shot" erfrischend von vielen anderen Verschwörungsthrillern. Nicht daß das Buch völlig von Klischees verschont geblieben wäre - die nationalistische Ignoranz mancher US-Amerikaner wird hier als allgemeingültig dargestellt, was nach meinen eigenen Erfahrungen so nicht stimmt. Insgesamt ist der Roman durch die gute und individuelle Charakterisierung der handelnden Personen und die angebrachte politische und ethische Kritik schön und angenehm zu lesen.

Da es sich um eine Selbstpublikation in einem Print-on-Demand-Verlag handelt, wurde der Roman nicht lektoriert und korrigiert, jedenfalls läßt das Impressum keinen anderen Schluß zu. Das Korrektorat vermisse ich schmerzlich, denn neben den typischen unerkannten Rechtschreibfehlern der Word-Autokorrektur gibt es auch eine große Masse von Zeichensetzungsfehlern. Irritiert hat mich das völlige Fehlen der geradzahligen Seitenzahlen, vor allem da es mir das Notizenmachen erschwerte. Des weiteren scheint der Autor des Genitivs abhold zu sein, selbst klare Genitivfälle wie "währenddessen" werden durch den Dativ "währendem" (mit nur einem d) ersetzt. Das fehlende Lektorat fällt hingegen kaum auf, der Autor ist gut, nur wenige Unstimmigkeiten sind zu beobachten: Die Bezeichnung Nobelpreis-Nominierung trifft nur auf den internen Prozeß der Nobelstiftung und der vergebenden Organisationen zu, wird der Preisträger bekanntgegeben, ist das keine Nominierung, und die Person ist bereits Preisträger, auch Laureat genannt. Die im Buch mehrfach vorgenommene Bezeichnung Nobelpreis-Nominierung ist somit falsch. Ein ungeklärter Widerspruch ist auch, daß während der Tests zu Beginn des Romans noch die Schädeldecke geöffnet und eine Meßsonde exakt an die richtige Stelle des Gehirns gebracht werden mußte, um das Bewußtsein des Versuchstiers anzuzapfen, während am Ende des Romans eine einfache, mit Elektroden besetzte Haube auf dem unrasierten Kopf genügte.

Fazit: Ein Thriller mit SF-Gehalt, den man nicht mehr aus der Hand legen mag und der durch gute und individuelle Charakterisierung der Protagonisten spannend, gut und abwechslungsreich zu lesen ist. Empfehlenswert.


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Erstellt am Sonntag, den 23.02.2014 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Sa, den 29.09.2018 um 11:07.