Achim Havemann [Hrsg.], Klaus Bollhöfener [Chefred.]: phantastisch! Jahrgang 2009 (No. 33 - 36)

Achim Havemann [Hrsg.], Klaus Bollhöfener [Chefred.]: phantastisch! Jahrgang 2009 (No. 33 - 36). Verlag Achim Havemann, ISSN 1616-8437, Heft mit Klammerung A4, je 68 Seiten, je 4,90 Euro

Hinweis: Ich beschränke mich hier ausschließlich auf die enthaltenen Kurzgeschichten und gehe auf die teils hervorragenden Sekundärartikel, die den Großteil der Hefte ausmachen, nicht ein.

enthält (*: keine SF):


Uwe Hermann - Die Arbeitsplatz-Lotterie

Ich-Erzähler Karl hatte fast 5 Jahre einen Job als Schnupftabakdosenmacher, doch schließlich hielt er es nicht mehr aus und hat gekündigt. Nun steht er wieder in der Schlange vor der Arbeitsplatzlotterie, aber er hat einen Plan: Mit seiner alten Clique will er in die Zentrale der Lotterie einbrechen und jedem Los einen guten Job zuordnen. Pläne dafür hat er von einem ehemaligen Lotterieangestellten, der des Rauchens wegen entlassen worden war.

Gut gezeichnete, liebenswerte Charaktere machen diese Geschichte zu einem Lesevergnügen, auch wenn se in einer trostlosen Welt spielt, in der die Politiker die Menschen endgültig verarscht haben. Es handelt sich um beißende Gesellschaftskritik, die durch eine feine Schlußpointe gekrönt wird.


* Frank Weinreich: Ein Zwischenfall in der Eulenburg

Ein Vampir wird von Priestern angegriffen. Doch auf Peter Fark und die anderen Vampire treffen die meisten Schauergeschichten nicht zu, er ist keineswegs ein Blutsauger und Untoter, nur ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten.

Der Autor versucht hier, die Vampire zu entmystifizieren, die Horror-Geschichte bekommt dadurch fast den Anschein einer SF-Geschichte. Allerdings nicht ganz, denn es gelingt Frank Weinreich nicht, den Vampir schlüssig als etwas anderen Menschen darzustellen. VFielleicht hätte der Geschichte dazu mehr Raum gegeben werden müssen.


Regina Schleheck: Kant ist Kacke

Sina versucht, das Erbe ihrer Eltern fortzusetzen, die vor allem über mediale Informationen die Menschheit im Sinne Kants erziehen und damit die Welt vor der triebgesteuerten Menschheit retten wollten. Das hat natürlich nicht funktioniert, und Sina ist dazu übergegangen, ihre Ziele vermittels Medikamenten in den von ihr kontrollierten Grundwasserreservoirs zu erreichen. Das klappt nicht immer, aber ihr Lieblingsprojekt, Kants kategorischen Imperativ den Russen einzutrichtern, scheint Erfolg zu haben...

Eine etwas hektisch und unkonzentriert erzählte Geschichte, was wohl den Geisteszustand der Hauptperson verdeutlichen soll. Eine nette Pointenstory, deren Schlußpointe allerdings deutlich mehr hergeben würde als nur der Hauptperson den Spiegel vorzuhalten.


Ernst-Eberhard Manski: Benefizkonzert

2042: Jeffrey will mit Chrysalis ein Benefizkonzert zum Jubiläum 75 Jahre Jethro Tull besuchen. Durch Kommentare von Schwiegeropa Edgar (dem Alter Ego des Autors) angeregt, versucht Chrysalis, mehr über die Lebens- und Konzertgewohnheiten der Menschen der damaligen Zeit in Erfahrung zu bringen, doch das erweist sich als sehr schwierig.

Gesellschaftskritik in Form von Musikkritik dürfte es nicht so häufig geben. Insofern ist auch diese Geschichte, wenngleich oberflächlich wenig skurril, wieder eine typische schräge Manski-Schöpfung. Kenner dieser Musikgenres werden vermutlich weitere schöne Anspielungen finden, aber auch mir hat die Geschichte Spaß gemacht. Ernst-Eberhard Manski beklagt hier die Glättung und Beliebigmachung der Rockmusik sowie die immer stärkere Gegenwartsbezogenheit der Menschen, die beide bereits in der heutigen Musik und Gesellschaft deutlich erkennbar sind.


* Frank G. Gerigk: Die Geschichte vom Ogel (No. 35, S. 32 - 33)

Der Ogel ward unter schrecklichen Vorzeichen als Kreuzung von Oger und Igelin geboren und lebte ein freudloses Leben...

Frank G. Gerigk gelingt es, diese kurze Geschichte durch seinen poetisch-satirischen Schreibstil zu einem echten Lesevergnügen zu machen. Der satirisch überspitze Stil sorgte dafür, daß ich als Leser trotz der eigentlich gar schröcklichen Story grinsen mußte. Die hübsch-häßliche Illustration von Günter Puschmann verstärkt diese Wirkung noch. Einzig logisches Manko ist, daß das schlechte Horoskop ja auch auf die gleichzeitig geborenen Geschwister des Ogels zuträfe...


Heidrun Jänchen: Im dreizehnten Stock (No. 35, S. 41 - 43)

Franka Peters ist Wissenschaftlerin beim Startup-Unternehmen ORGANO PLUS. Als sie nach einem langen Arbeitstag nach Hause will, drückt sie versehentlich im Fahrstuhl den Knopf nach oben, obwohl sie im obersten Stockwerk arbeitet. Sie gelangt tatsächlich ins 13. Stockwerk, doch jeder Versuch, es zu verlassen, scheitert, und das Stockwerk verändert sich ständig...

Eine sehr schön und intensiv erzählte Gerschichte, in der unter anderem der Leistungsdruck in unserer heutigen Gesellschaft kritisiert wird. Der Leser kann die Ungläubigkeit und Verzweiflung der Wissenschaftlerin, in deren geordnete Welt plötzlich der Wahnsinn einbricht, sehr gut nachvollziehen. Die Schlußpointe hat mir sehr gut gefallen.


Ian Ulster: Der Schlüssel (No. 36, S. 38 - 40)

Im Venedig des Jahres 1548 hat Signora Lucia di Palanti das von ihrem verschollenen Ehemann entworfene Gerät fertiggestellt, das ihrer schwerkranken Tochter das Leben retten soll.

Ich weiß, daß Steampunk im Allgemeinen zur Science Fiction gerechnet wird, und die meisten Autoren erzählen ihre Geschichte auch entsprechend. "Der Schlüssel" fällt in zweierlei Hinsicht aus dem Rahmen: Zum einen ist es nicht wirklich Steampunk, da lange vor der Erfindung der Dampfmaschine spielend, zum anderen wirkt die Geschichte eher wie eine historische Erzählung, denn es gelingt dem Autor hervorragend, den damaligen Zeitgeist in seiner Story einzufangen. Das führt allerdings zu einem mir nicht gefallenden Ergebnis, wozu auch der nicht unerhebliche Schmalz und die vielen mir unverständlich bleibenden Andeutungen beitragen. Leser, denen historische Geschichten gefallen, werden an dieser gut ausgearbeiteten Erzählung sicher ihre Freude haben.


Jasper Nicolaisen: Am Ionenfeuer erzählt

Raumflottenadmiral a. D. von Brunckhorst erzählt von seinem ersten Gefechts als Fähnrich und von einem liebeskranken Überläufer.

Herrliche Schnurrerei in Anlehnung an "Romeo und Julia", die eher zufällig SF-Elemente benutzt. Die skurril-nüchterne Erzählweise erinnert mich ein wenig an Geschichten von Ernst-Eberhard Manske (Pseudonym: Edgar Güttge). Ich hoffe, von Jasper Nicolaisen noch mehr lesen zu können, diese Geschichte hat mich auf jeden Fall neugierig gemacht.


Fazit: Der geringe Platz, der den Geschichten in phantastisch! eingeräumt wird, beschränkt die Möglichkeiten der Autoren. Dennoch beobachte ich über die Jahre eine langsame, aber kontinuierliche Steigerung der Qualität, was für die Zukunft, in der phantastisch! ins 10. Jahr geht, Gutes hoffen läßt. Für die Geschichten wie auch den Rest des Magazins gilt: Empfehlenswert!

Gute Geschichten (beste zuerst):


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Erstellt am So, den 19.04.2009 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am So, den 07.02.2010 um 15:44.