Ronald M. Hahn [Hrsg.], Michael K. Iwoleit [Hrsg.], Olaf G. Hilscher [Hrsg.]: Nova 7. Books on Demand / Verlag Nummer 1, ISBN 3-8334-2549-0, Paperback 14,8 cm x 20,9 cm, 179 Seiten, 12,80 Euro
enthält (*: keine SF): Geschichten:
Sachartikel:
Ronald M. Hahn nutzt das Vorwort diesmal zu einem ganz persönlichen Nachruf auf Walter Ernsting (hauptsächlich genutztes Pseudonym: Clark Drlton), indem er erzählt, wie Walter Ernsting den jungen Ronald Hahn zum SF-Fandom brachte und ihm ermöglichte, erste Geschichten zu veröffentlichen.
Die »Rentenboomer« geboren ab 2010 sind überflüssig und haben keine Lobby, während sich die jetzigen Rentner weitreichende Vorrechte erstritten haben. Als Folge gibt es Todesgondeln, in die die Überflüssigen einsteigen können - ihre Hinterbliebenen erhalten dann mehr Ressourcen zugewiesen. Der Ich-Erzähler will in die Todesgondel steigen, um seiner Freundin ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch er bekommt Zweifel...
Ordentlich geschriebene Geschichte, die allerdings die durch den Titel (Anlehnung an die danebengegangene Agenda 2010 von Ex-Kanzler Schröder) erweckte Hoffnung auf gute politische Aussagen nicht erfüllt, stattdessen gibt es ein Pseudo-Paradies.
Kazugo jagt Terroristen und Selbstmordattentäter. Einer davon, genannt Polikron, haßt ihn dafür und will zum Tode verurteilt werden, doch Kazugo erreicht eine Begnadigung. In einer anderen Welt jagt Kazugo als Kapitän eines Luftschiffes wieder einen Selbstmordattentäter...
Zunächst beginnt die Geschichte sehr farbig und expressiv, doch im zweiten Teil wird klar, worum es wirklich geht. Der dritte Teil wirft ein neues Licht auf die Vorgänge üm den 11. September 2001. Eine sehr gute Geschichte, die mit den Erwartungen des Lesers spielt.
Feen sind kleine frauenartige Kunstwesen - 99,8% menschliche Gene, 4096 Prozessoren, 24 Stunden Hotline - für Männer, denen echte Frauen zu kompliziert und echte Kinder zu verboten sind. Softwareexperte Jenst entdeckt bei einem Kunden, dem er Gewalt- und Sexspiele verkauft, eine Fee, die ihm seltsam vorkommt. Schließlich entdeckt er einen neuartigen Virus, der geheime Informationen verbreitet.
Uwe Post erzählt seine Geschichte mit sehr viel Atmosphäre, die völlig heruntergekommene Welt wird plastisch und lebendig. Gleichzeitig ist die Geschichte eine gute Parabel auf die Folgen der Verquickung von Politik und Kommerz.
Eine vierköpfige Familie findet sich plötzlich in einem leeren Raum wieder. Zunächst hält der Vater es für Spinnerei und Science Fiction, als sein Sohn behauptet, sie seien von Außerirdischen entführt worden, muß dann aber einsehen, daß das die einzig logische Erklärung ist. Sie versuchen mit ihren Entführern in Kontakt zu treten, es gibt aber keinerlei Reaktionen.
Mommers nutzt die Form des Tagebuchs, um den Leser an den ungewöhnlichen Erlebnissen der Familie teilhaben zu lassen. Niedlich und detailverliebt stellt er zunächst den Stil der Tochter dar, komplett mit Rechtschreibfehlern und kindlicher Ausdrucksweise. Dann übernimmt der Vater und schildert die vergeblichen Versuche, mit den Entführern Kontakt aufzunehmen. Auch die Gedanken der Entführer werden dargestellt, und es zeigt sich, daß eine Verständigung schon aufgrund des unterschiedlichen Zeitempfindens kaum möglich ist. Zum Schluß zieht Helmuth Mommers Parallelen zu unserem Leben - sehr gut gemacht! So muß Science Fiction sein! Wer sich auf diese Geschichte einläßt, hat hinterher viel zum Nachdenken.
Polizist Lansing verfolgt den von einem illegalen Aktionskünstler gegen Großkonzerne zum Kunst-Terroristen mutierten Kogai seit 12 Jahren. Es gibt Anzeichen dafür, daß Kogai auf einer Versteigerung seiner »Werke« selbst auftritt, daher legen sich Lansing und zwei Hundertschaften Polizei auf die Lauer. Dabei erzählt Lansing seinem Kollegen Michalek die Geschichte einiger der angebotenen Werke, z. B. ein Sandwich aus Autobahn und Innenminister.
Eine hervorragende Geschichte, die einen bruchlosen Spannungsbogen hervorragend mit der Entfaltung der »Karriere« Kogais verbindet. Die Pointe ist richtig gemein, trotzdem ist die Geschichte auch bei mehrfachem Lesen noch genauso gut. Das ist ungewöhnlich für eine Pointenstory und zeigt deutlich die hohe Qualität von Küpers Erzählkunst. Auch über den Auktionator erfährt man am Ende ein wenig, und da zeigt sich wieder einmal, wie sehr der Kommerz sich der Kunst bemächtigt. Als verhinderter Künstler weist der Auktionator außerdem Parallelen zu Hitler auf. Die Geschichte nimmt auch die Sensationsgier und Morbidität der heutigen Gesellschaft aufs Korn. Die Pointe ist richtig gemein, trotzdem ist die Geschichte auch bei mehrfachem Lesen noch genauso gut. Das ist ungewöhnlich für eine Pointenstory und zeigt deutlich die hohe Qualität von Küpers Erzählkunst. Thorsten Küper ist inzwischen zusammen mit Michael K. Iwoleit zur Zeit der beste Autor von SF-Kurzgeschichten. Meiner Meinung nach ist »Warten auf Kogai« durch die Dichte der Erzählung ohne jeden Durchhänger und ihre Vielschichtigkeit die beste SF-Kurzgeschichte des Veröffentlichungsjahrgangs 2005 und wurde zu Recht für den Deutschen Science Fiction Preis nominiert.
Die Erde wurde von »Käfern« erobert, die alle Technologie verbieten. Samuel und Koriander folgen einer elektrischen Jungfer, die behauptet, schon bald die Schwäche der Besatzer zu kennen und die Menschen zum Sieg zu führen.
Der Autor hat sich offensichtlich von Douglas Adams und der Komikertruppe Monty Python inspirieren lassen. Leider reicht die Geschichte an deren Humor nicht heran, dennoch handelt es sich um eine vergnüglich zu lesende schrullige Geschichte. »Mondsilber« in »Nova 2« vom gleichen Autor hat mir allerdings deutlich besser gefallen.
Hofberichterstatter Maximon Cort sitzt in der Stierkampfarena auf dem Uranus, um vom wichtigsten Kampf des Jahres zu berichten. Dabei läuft der Stierkampf ein wenig anders ab, als das derzeit in Spanien und Mexiko der Fall ist...
Holger Eckhart wirft in dieser Geschichte Schlaglichter auf eine dekadente und auf dem absteigenden Ast befindliche Kultur in einem zerstörten Sonnensystem. Durch eine Nebenbemerkung spielt auch diese Geschichte in dem Universum, das Eckhard schon in »Wie ein Bild von Radziwill« (2002 in »Nova 1«) und »Mord an Bord?« (2003 in »Nova 2«) verwendet hat. Mir hat insbesondere »Mord an Bord?« erheblich besser gefallen.
Über das Meer, das einmal Deutschland war, fährt ein Reisender per Schiff nach Drášdany (Dresden) in Böhmen.
Diese Geschichte fällt schon durch ihre Form aus dem Rahmen, es handelt sich nämlich um ein Gedicht, komplett mit Reimen. Man könnte sich jetzt die Frage stellen, ob ein Gedicht eine SF-Kurzgeschichte sein kann. Ich beantworte diese Frage im vorliegenden Fall mit einem klaren Ja: Es ist Sciencr Fiction, es wird eine Geschichte erzählt, und sie ist kurz. Simon erzählt hier darüber, wie es in Deutschland (oder was davon übrigbleiben wird) aiussieht, wenn alles Gletschereis der Erde abschmilzt und der Meeresspiegel um etwa 100 Meter ansteigt. Leider gibt es einen Druckfehler: Das Schesch š (S mit zwei »Hörnern« obendrauf) des tschechischen Wortes für Dresden wird als Punkt gedruckt. Es hängt von Eurem Browser und den installierten Schriftarten ab, ob es in dieser Rezension korrekt angezeigt wird. Erik Simon bringt die veränderte Welt und vor allem den ungebrochenen (Über)Lebenswillen der Menschen auf so wunderbar poetische Weise (wie sich das für ein Gedicht gehört) und garniert mit einem Spritzer typisch simonschen Humors dar, jedes Wort sitzt. Meiner Meinung nach gehört »Überfahrt« zu den 10 besten SF-Kurzgeschichten des Veröffentlichungsjahrgangs 2005.
Computersprezialist Manlio Locatelli sitzt in der Hölle, als Satan seine Hilfe bei einem Softwareproblem braucht. Manlio sieht die Gelegenheit, die Hitze der Hölle für sich etwas abzumildern...
Eine herrliche Pointenstory eines der bekanntesten italienischen SF-Autoren. Nicht wirklich SF (obwohl die Verwaltung der Hölle per Software durchaus in diese Richtung geht), aber nichtsdestotrotz ein echter Genuß.
Kurek und der Mahout der Hills Afar entdecken in einem völlig verlassenen Sektor der Galaxis ein künstliches Artefakt. Kurek geht runter und trifft auf einen Gestaltwandler, der an interessanten Konzepten interessiert ist. Das übliche kennt er natürlich längst, also versucht Kurek, ihm Humor zu erklären.
Eine schnurrige und skurrile Geschichte mit einer fiesen Popinte. Die Geschichte sehr schön und atmosphärisch dicht erzählt, leicht schrullig und gerade dadurch in sich stimmig. Von Hartmut Kasper möchte ich gern mehr lesen!
Ein Ich kreist ohne jede Umwelt, ohne jeden Input um sich selbst. Es weiß nicht, wie es in diesen Zustand gekommen ist, aber er dauert subjektiv schon sehr lange an - eine Möglichkeit der objektiven Zeitmessung fehlt. Plötzlich wird das Ich in eine Aktionssequenz geworfen: Es ist Soldat, kommt damit aber zunächst nicht besonders gut zurecht. Aber die Aktionssequenzen scheinen einem Ziel zuzustreben.
Die Geschichte beginnt langsam und beschreibt das um sich selbst kreisende Ich sehr einfühlsam, insbesondere durch den Kontrast zu den Aktionssequenzen. Die Auflösung ist interessante, bleibt aber offen. Die Geschichte wendet sich unter neuen Gesichtspunkten dem »Inner Space« zu, sozusagen eine New New Wave. Eine sehr gut geschriebene und zum Nachdenken anregende Geschichte.
Das Ende der Kurzgeschichte und der Fortsetzungswahn bei immer dicker werdenden Romanen wird beklagt.
Der Text ist weniger ein Sachartikels als vielmehr eine Klageschrift. Ich vermisse den meiner Meinung nach nötigen Versuch der Objektivität und vor allem die Ursachenforschung. Letztere reißt der Artikel zwar hin und wieder kurz an, fällt dann aber wieder in den Klagegesang zurück. Die Freude der Leser an Romanserien nur auf die Serienüberflutung im Fernsehen zurückzuführen halte ich für übertrieben und falsch - ich selbst lese einige Romanserien, sehe aber (außer geleentlichen SF-Folgen) keine Serien im Fernsehen. Vielleicht mißverstehe ich aber die Intentionen des Autors, und er polemisiert bewußt, um Leute wie mich zu Nachdenken und Widerspruch anzuregen... Jedenfalls kann ich seinen Beobachtungen und Schlußfolgerungen nicht zustimmen - die Kurzgeschichte ist keineswegs tot, weder in Deutschland (das vorliegende Buch ist ein gutes Beispiel dafür) noch in den USA, wo sich SF-Autoren zunächst mit Kurzgeschichten einen Ruf erwerben müssen, bevor sie gute Aussichten auf einen Vertrag für einen Roman haben. Gute Kurzgeschichten, Novellen und Romane gibt es auch nach den Siebzigern, wobei das natürlich immer Geschmackssache ist. Auch der nebenbei gemachte Behauptung, die deutsche Science Fiction sei ein (Sief-)Kind der US-SF und sei werder er- noch entwachsen, muß ich widersprechen - es *scheint* durch die Ignoranz der großen Verlage dem Normalleser nur so, denn bis zur normalen Bevölkerung hat sich die Reife des Literaturgenres leider noch nicht herumgesprochen. Das Thema weiter auszuführen würde allerdings den Rahmen dieser Rezension sprengen.
Der Artikel bespricht alle Filme von Rainer Erler ausführlich und zeigt deutlich die Stärken und Schwächen des Filmemachers. Zum Schuß geht es noch kurz auf die (Film-)Romane und Kurzgeschichten Erlers ein.
Florian F. Marzi bespricht die einzelnen Fernsehfilme Rainer Erlers ausführlich. Im Vergleich arbeitet er die Stärken und Schwächen Erlers als Regisseur und Drehbuchautor heraus. Zum Schluß geht Marzi kürzer auf Erlers Romane ein - da sie bis auf einen alles Romanfassungen seiner Filme sind, ist die Handlung bereits bekannt. Erlers Kurzgeschichten werden leider nur kurz gestreift, indem die vier mit einem Preis ausgezeichneten Geschichten aufgelistet und zu zweien davon sowie dem Sammelband »Die Orchidee der Nacht« kurz etwas geschrieben wird. Dadurch stimmt die am Anfang des Artikels gemachte Ankündigung, das Gesamtwerk Erlers besprechen zu wollen, leider nicht, denn die Kurzgeschichten hätten deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient.
Besprechung des Alternativwelt-Romans »Geschichte machen« von Stephen Fry, in dem durch eine Zeitmanipulation die Geburt Adolf Hitlers verhindert wird, doch Nazis und Holocaust trotzdem stattfanden. Stephen Fry: Geschichte machen. Rowohlt rororo 22410, ISBN 3-499-22410-0, 464 Seiten, 9,90 Euro.
Im Vortext wird der Artikel als Autorenportrait angekündigt, es ist jedoch eine Buchbesprechung, in der am Anfang ein paar Informationen zum Autor gegeben werden. Es ist eine sehr gute Buchbesprechung, wie ich betonen möchte - ich hoffe, meine eigenen Rezensionen werden auch einmal so gut!
Jürgen vom Scheidt zieht Parallelen zwischen Mutanten, Superhelden und Wissenschaftlern aus Science Fiction Geschichten und stellt die These auf, daß viele SF-Autoren selbst hochbegabt sind und unter diesem Mantel über ihre eigenen Probleme schreiben. Es handelt sich um Auszüge des neuen Buches vom Autor: Jürgen vom Scheidt: Das Drama der Hochbegabten - Zwischen Genie und Leistungsverweigerung. Hardcover: Kösel-Verlag, München 2004, ISBN 3-466-30635-3, 360 Seiten, 19,95 Euro. Taschenbuch: Piper SP 4495, 2005, ISBN 3-492-24495-5, 368 Seiten, 9,90 Euro.
Die These ist vermutlich nicht falsch, kann aber nicht auf alle Geschichten über Übermenschen angewendet werden - oft handelt es sich eher um Machtphantasien. Außerdem mißfällt mir der elitäre Anstrich, den die Hochbegabten hier bekommen, wobei das mein Eindruck ist und ich den Autor möglicherweise mißverstehe, da hier nur ein paar kurze Ausschnitte aus seinem Buch präsentiert werden. Hochbegabte sind nicht »normal«, denn Normalität ist definiert als das, was die Mehrheit für normal hält (was zwangsläufig bedeutet, daß sich die genaue Bedeutung von »normal« im Laufe der Zeit ändert). Außerdem zahlen Hochbegabte für ihre Begabung oft einen hohen Preis, denn sie haben meist Defizite in anderen Bereichen und oft probleme mit sozialen Interaktionen. Möglicherweise geht das Buch auf diese Themen ein. Die vorliegenden Ausschnitte geben ein paar Denkanstöße, eine genauere Ausarbeitung fehlt aber.
In dieser Glosse wird das Verhalten von SF-Autoren gegenüber der Nova-Redaktion herrlich durch den Kakao gezogen.
Fazit: Den drei Herausgebern ist wieder eine runde Sammlung von Geschichten und Sachartikeln auf höchstem Niveau gelungen. Nova ist das beste, was der deutschsprachigen Science Fiction im letzten Jahrzehnt passiert ist und steht seit der ersten Ausgabe 2002 (inzwischen zusammen mit der letztlich aus Nova entstandenen »Konkurrenz« Visionen) ganz oben auf meiner Liste von empfehlenswerten Kurzgeschichten-Publikationen. Unbedingte Abo-Empfehlung!
Copyright ©2006 Martin Stricker.
Liste meiner Rezensionen
Listen mit deutscher Science Fiction
Erstellt am Do, den 15.06.2006 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Mio, den 11.10.2006 um 23:24.