Ronald M. Hahn [Hrsg.], Michael K. Iwoleit [Hrsg.], Frank Hebben [Hrsg.]: Nova 15. Berlin / Wuppertal 2009, Schaltungsdienst Lange oHG / Verlag Nummer 1, ISSN 1864-2829, Paperback 14,9 cm x 21,0 cm, 176 Seiten, 12,80 Euro
enthält (*: keine SF):
Da versucht, sich, seine Frau Isa und Tochter Fran in einer postapokalyptischen Welt durchzubringen. Ihm gelingt, ein Stück rohes Rindfleisch zu ergattern, das er auf dem Skull-Markt eintauschen will...
Wäre nicht der abgesehen von der Schlußszene unbedeutende technische Aspekt, so wäre diese recht eklige Geschichte keine Science Fiction, sondern eine Geschichte aus der Jetztzeit in irgendeinem Slum. "Da im Glück" ist eindringlich erzählt, allerdings nicht mein Geschmack.
Irk, Kirk und Rick sind die Besatzung eines Erkundungsraumschiffs auf langer Fahrt. Die Spannung zwischen ihnen nimmt zu, da sich ihre Persönlichkeiten immer mehr angleichen...
Logische Auflösung mit unklarem Ende. Die Erzählung kommt recht konfus daher, passend zum Geisteszustand des Ich-Erzählers.
Heimatmuseumsleiter Dr. Heinz Bürger-Klein hat im örlichen Wirtshaus zwei oder drei über den Durst getrunken und erzählt dem Wirt, daß er mit einem Fingerschnippen alles, was er sich wünscht, wahr werden lassen kann...
Herrlich schön-schräge Schnurrerei über die Probleme gottgleicher Macht, in die ganz nebenbei noch beißende Gesellschaftskritik verpackt ist. Das Kreuzigungsverfahren ist allerdings falsch wiedergegeben (was bei sämtlichen religiösen Darstellungen ebenfalls der Fall ist) Leider werden weder Erdfragment, Phersitter noch Kuyper erwähnt, so daß diese Geschichte keinen Roten Faden mit anderen Geschichten von Holger Eckhardt teilt. Das schmälert natürlich nicht die Qualität der Geschichte.
Der namenlose Ich-Erzähler wurde von den Außerirdischen als Kontaktperson abgelehnt, nachdem er seine außerirdische Kontaktperson geistig überwältigt und dabei getötet hat. Er wird militärisch in Nordschweden abgeschirmt, aber er lebt nun in der zeitunabhängigen Geisteshaltung der Außerirdischen.
Sam Lundwall gelingt es, in dieser kurzen Geschichte dem Leser die Erlebniswelt eines Wesens nahezubringen, dem das Konzept eines linearen Zeitablaufs fehlt. Die sehr gelungene Übersetzung von Erik Simon tut ein Übriges, der Erzählung ihre Wirkung zu ermöglichen.
Bernhard ist als begnadeter Fußballspieler aus den Slums des Draußen in den Luxus der Turmstadt Neulin aufgestiegen. Um den neuen Status auf Dauer zu sichern, heiratet er in eine der besten Familien ein, doch seine Frau Jutta ist eine ziemliche Meckerziege...
Uschi Zietsch gelingt das Kunststück, als Autorin ihre Geschichte glaubwürdig aus Männersicht zu erzählen, nicht ohne die männlichen Schwächen geschickt und liebevoll bloßzustellen und zur Wahrung von Gleichgewicht und Gerechtigkeit auch Schwächen der Frauen anzudeuten. Die Handlung erinnert mich an den Loriot-Sketch "Das Ei ist zu hart", der mit den Worten endet: "Ich bringe sie um! Morgen bring ich sie um." Die skizzierte zweigeteilte zukünftige Gesellschaft ist eine konsequente Weiterentwicklung der schon heute immer weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich, die Situation auf den Müllkippen in vielen Ländern der sogenannten "Dritten Welt" wird nach Deutschland verlegt und mit grünem Gedankengut gerechtfertigt. Auch die derzeitige Diskussion um Hartz IV, "Sozialschmarotzer" und "Prekariat" zielt in diese Richtung - auch hier wird Proll-Ausdrucksweise plötzlich gesellschaftlich akzeptiert, wenn es sich um einen erfolgreichen Sportler handelt. Durch diese Vielschichtigkeit ist "Jutta" weit mehr als eine satirische Beziehungsgeschichte.
Der Arzt Salman Pfeifer wird als geheilt aus dem Irrenhaus entlassen und holt auch den Ich-Erzähler da raus, indem er ihm eine Neuroprothese ins Hirn pflanzt. Das Anti-Negativitäts-Gesetz beschränkt die Bürgerrechte, und Salman holt sich seine Dosis verbotener Negativität über die Neuroprothese.
Keine Ahnung, was diese kurze Geschichte aussagen soll, mir erschließt sie sich nicht. Die Erzählung ist flott und stilsicher geschrieben.
Die namenlose Ich-Erzählerin läßt sich mithilfe von Drogen von einer Frau erotisch verwöhnen.
Sehr gut gemachte, stimmungsvoll erzählte und mit einem gut kontrastierenden Schluß versehene kleine, aber feine Geschichte, die mir sehr gut gefallen hat. Wirkliche Science Fiction ist das zwar nicht, nur das Ende weist einige Anklänge auf, aber das tut dem Genuß keinen Abbruch.
Salman Spiegel wird aus seiner Cyberwealth-Kolonie als angeblich tot entfernt. Er findet einen Hilferuf seines Bruders Tilman, der vor 22 Jahren, als Israel durch biologische Waffen zum Sperrgebiet "Fuge" wurde, ihm und seinen Eltern nicht ins Cyberwealth gefolgt war. Tilman ist in die Fuge geflogen, um die brisanten Schriften des jüdisch-chinesischen Rabbis Isaac Wu zur Veröffentlichung herauszuschmuggeln. Salman wird von den Wächtern, die die Quarantäne der Fuge überwachen, für eine Suchexpedition ausgerüstet, da die Wächter die Schriftrollen beschlagnahmen wollen. In der Fuge wird Salman Zeuge, wie die Bewußtseine mehrerer Menschen zum Meta-Menschen verschmelzen...
Sehr gut und atmosphärisch dicht erzählte Geschichte, deren Genre-Einordnung schwierig ist. Auf den ersten Blick ist es Science Fiction, aber das Hauptthema ist religiös-esoterischer Art, und durch das mit Cthulhu verglichene Wesen kommen auch Horror-Einflüsse hinzu. Daher lautet meine Einschätzung, daß es sich nicht um Science Fiction handelt. Thomas Wawerka gelingt es, seine Geschichte trotz der esoterisch-unerklärlichen Vorkommnisse logisch und rational erscheinen zu lassen, und er zeigt gute Kenntnis und geschickte Integration verschiedener theologischer und esoterischer Ansätze. Am Schluß bringt der Autor noch eine kräftige Dosis beißend satirischer Gesellschaftskritik ein.
Niklas und Randolph arbeiten als Prospektoren im Asteroidengürtel. Auf Kimberley sehen sie nach der Explosion einer kleinen Atomrakete, deren Strahlungswerte Aufschluß über den Minaraliengehalt geben sollen, einen Felsen, der sich bewegt und offenbar von der Strahlung wegkriecht...
Gut erzählte Pointengeschichte über einen ungewöhnlichen Erstkontakt. Die Idee hat durchaus das Potential zu einer größeren Erzählung.
Jon-Jen Jovaro, von Beruf Astronauta, kommt nach Jahrzehnten wieder für 10 Tage Landurlaub auf die Erde. Von den körperlichen und kulinarischen Moden, die intensiv von Klon- und Gentechnikverfahren Gebrauch machen, ist er eher abgestoßen und gerät dabei in eine Spelunke, wo er sich auf ein Glücksspiel einläßt...
Herrlich schräge Schnurrerei, die nicht die englische, sondern die spanische Sprache einbindet. Das empfinde ich als erfrischende Abwechslung, aber auch als vorausschauend: Die Menschenmengen Lateinamerikas, die aus ihren armen Verhältnissen ausbrechen wollen, haben selbst in den USA schon dazu geführt, daß viele Beschriftungen nun zweisprachig in Englisch und Spanisch abgefaßt sind. Helmuth W. Mommers verpackt in dieser Erzählung auch eine gute Portion Gesellschaftskritik und Warnungen vor neuen Technologien und ihres Mißbrauchs, legt aber immer größten Wert auf Spannung und Lesespaß, was ihm erlaubt, seine Botschaften ohne erhobenen Zeigefinger dem Leser nahezubringen. Schreibstil, Wortwahl und Satzbau sind genau auf diesen Zweck zugeschnitten, trotz einiger höchst unschöner Szenen wirkt die gesamte Geschichte wie mit einem Augenzwinkern erzählt. Meiner Meinung nach ist dies eine der besten Geschichten, die ich von Helmuth W. Mommers gelesen habe.
An Weihnachten wird der Vater des 4jährigen Martin von Uniformierten abgeholt, in den folgenden Monaten sind oft unfreundliche Uniformierte zu Besuch.
Knappe 2seitige Geschichte, in der die Willkür und Ungerechtigkeit eines totalitären Systems aus der Sichtweise eines Kleinkinds erzählt wird. Mir persönlich ist das Ganze etwas zu knapp gehalten, außerdem empfinde ich die Schluß-Anti-Pointe als unglaubwürdig, da über das Vermögen eines 5jährigen hinausgehend, und etwas platt gehalten. Andererseits ist die Geschichte konaequent auf das Wesentliche reduziert - hier sitzt jeder Satz! - und legt knapp, aber Einfühlsam das Unverständnis und die seelischen Verletzungen des Kindes dar.
Hark ist Operator für Konstruktionssysteme und ziemlich sauer, weil die Regierung gerade Oralsex verboten hat, da es eine typisch anarichistische Handlung sei und außerdem nicht der Fortpflanzung diene. Miriam sieht das nicht so eng, sie ist eher damit beschäftigt, die Nichtkonsumsteuer zu vermeiden. Doch Harks sexuelle Frustration verstärkt sich und gefährdet sowohl seine Arbeit als auch seine Beziehung zu Miriam.
Hier wird nicht nur der Überwachungsstaat auf die Spitze getrieben (Überwachungskameras sgar im Schlafzimmer), sondern auch der Konsumzwang. Heidrun Jänchen wählt etwas, das keinem normalen Menschen als verbietenswert erscheinen würde (selbst wenn sie oder er es nicht mag), rückt durch die Begründung die Regierung selbst in die Nähe der religiösen Extremisten, die sie doch angeblich bekämpfen will, und kann damit frivol-kokett den Irrsinn des staatlichen Überwachungswahns im wahrsten Sinne des Wortes bloßstellen. Das von den Politikern gern verwendete Argument, anständige Bürger hätten ja nichts zu verbergen, wird hier sehr schon ad absurdum geführt. Das Ganze wird noch durch die kongeniale Illustration von Markus Bülow verstärkt. Die Botschaft der Geschichte ist klar: Wehret den Anfängen der Freiheitseinschränkungen, sonst leben wir bald wieder in einem totalitären Polizeistaat!
Handelsvertreter Ralph übernachtet in einem Motel in einem ziemlich verrufenen Stadtteil. Er ist ob seines verkäuferischen und privaten Versagens ziemlich deprimiert, daher kauft er sich aus einem Automaten eine Paperdoll, eine papiererne Sexpuppe...
Sehr einfühlsam erzählte Geschichte über einen durch eine Wirtschaftskrise erfolglos gewordenen Verkäufer, dessen Privatleben ebenfalls in die Brüche gegangen ist. Frank Hebben verarbeitet ier aller Wahrscheinlichkeit nach die gegenwärtige Wirtschaftskrise, jedoch erweitert um eine Warnung vor verfrühtem Masseneinsatz noch nicht ausreichend erprobter neuer Technologie. Ich muß allerdings zugeben, daß ich nicht weiß, wofür die rettende Paperdoll stehen soll. Nichtsdestotrotz hat mir die Geschichte gut gefallen, und sie ist, wie von Frank Hebben zu erwarten, sehr gut geschrieben.
Sehr gut gemachte und höchst vergnüglich zu lesende Besprechung der 12bändigen Serie von Ronald M. Hahn und (nur 2 Bände) Horst Pukallus. Auch wenn für mich das Ergebnis ist, daß ich mir die Serie nicht kaufen werde, ist dieser Artikel darüber unbedingt lesenswert! [Pulps der 30er und Sex]
Holger Eckhardt gibt ein wenig Einblick in wiederkehrende Motive seiner Geschichten und räsoniert über das geldgierige professionelle Verlagswesen, SF-Fans mit mangelnder Hygiene (immerhin gibt er zu, daß dies nicht auf alle zutrifft) und den seiner Meinung nach aus Neid seine Geschichten negativ besprechende Frank W. Haubold. Dafür, daß ihn das alles überhaupt nicht stört, läßt er sich recht umfangreich darüber aus, was mir ein Grinsen entlockte. :-) Seine Geschichten gefallen mir jedenfalls.
In seinem traditionellen Jahresrückblick stellt Helmuth W. Mommers fest, daß 2008 der bislang zahlenmäßig umfangreichste Kurzgeschichtenjahrgang des deutschsprachigen Raumes wahr. Dabei beklagt er aber auch die mangelnde Qualität vieler veröffentlichter Geschichten und fordert bessere Auswahl und Lektorat von den Verlegern und Herausgebern. Da ich selbst für den DSFP viele Kurzgeschichten deutschsprachiger Autoren lese, muß ich seine Einschätzung der Qualität leider bestätigen. Bei Wiederveröffentlichungen bemängelt Helmuth W. Mommers, daß bis aus wenige Ausnahmen keine Informationen zu vorherigen Veröffentlichungen gegeben werden. Auch hier muß ich mich seiner Kritik aus vollem Herzen anschließen.
Mir ist aufgefallen, daß sich der Geschmack der Nova-Macher immer weiter von meinem entfernt (es ist natürlich auch möglich, daß sich mein Geschmack geändert hat). Die schriftstellerische Qualität der Geschichten ist weiterhin auf gleichem hohem Niveau, aber ich bin ehrlich genug zuzugeben, daß meine Beurteilung der einzelnen Werke nicht objektiv erfolgt, sondern auch von meinem subjektiven Geschmack beeinflußt wird.
Fazit: Eine sehr abwechslungsreiche Anthologie auf gleichbleibend hohem Niveau. Nova ist die wohl qualitativ beste der zur Zeit regelmäßig erscheinenden Science-Fiction-Anthologien. Unbedingt empfehlenswert!
Copyright ©2010 Martin Stricker.
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Erstellt am Do, den 25.02.2010 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Do, den 25.02.2010 um 21:47.