Stephen R. Donaldson: Lord Fouls Fluch (Lord Foul's Bane) [Thomas Covenant der Zweifler Band 1]

Stephen R. Donaldson: Lord Fouls Fluch (Lord Foul's Bane, 1977) [Thomas Covenant der Zweifler Band 1]. Heyne 1984, ISBN 3-453-30643-0, aus dem amerikanischen Englischen übersetzt von Horst Pukallus, Taschenbuch (11,5 cm x 18,0 cm), 495 Seiten, 8,80 DM

Stephen R. Donaldson: Lord Fouls Fluch (Lord Foul's Bane) [Thomas Covenant der Zweifler Band 1]

Thomas Covenant, Autor eines sehr erfolgreichen Romans, hat Lepra, an die er zwei Finger und das Gefühl in Händen und Füßen verloren hat. Die Krankheit ist unter Kontrolle, trotzdem hat sich seine Frau von ihm scheiden lassen und ist mit ihrem gemeinsamen Sohn in einen anderen Bundesstaat gezogen. Sämtliche seiner Rechnungen werden anonym bezahlt, der örtliche Lebensmittelladen schickt ihm kostenlos seine üblichen Einkäufe. Doch Covenant will sich das nicht bieten lassen, er will nicht auf soziale Interaktionen verzichten, zumal Lepra nicht ansteckend ist. Also begibt er sich aus Trotz in den Ort. Dort wird er von einem Bettler seltsam angequatscht und dann beim Überqueren einer Straße von einem Polizeiauto angefahren.

Er erwacht in einer seltsam beleuchteten Höhle in der Nähe einer fürchterlichen Kreatur, dem Höhlenschrat Seibrich Felswürm. Der hat den vor tausend Jahren verlorengegangenen Stab des Gesetzes wiederentdeckt und Covenant damit in seine Welt geholt. Doch Lord Foul "rettet" ihn, doch schnell wird Covenant klar, daß er an den Schlimmeren geraten ist. Siegesgewiß und voller beißender Verachtung schickt Fould Covenant zu den Lords, um ihnen die Nachricht von wiedergefundenen Stab und seinem Ultimatum von 7 mal 7 Jahren zu überbringen. Covenant wird von der jungen Lena aus dem Steinhausen Mithil gefunden. Sie hält ihn für die Wiederkunft des legendären Helden und Begründer der Lords Berek Halbhand. In einem Anfall von Wut und Selbstmitleid vergewaltigt er Lena, dann macht er sich auf den weiten Weg zu den Lords. Er hält die Welt, in die er geraten ist, für einen Traum, muß sich aber ständigen Zweifeln erwehren. Seine abgestorbenen Nerven regenerieren sich, und er beginnt Gefallen an der Welt zu finden, in die es ihn verschlagen hat, will sich aber nicht zum Helden machen lassen. Als bei ihm Lepra diagnostiziert wurde, hat sich Covenant zum Überleben entschieden, und den gleichen Entschluß faßt er auch hier: Überleben und aus dem Traum erwachen. Heldentum ist dem Überleben oft abträglich...

Mich haben Hintergrund und Handlung immer wieder an »Der Herr der Ringe« von J. R. R. Tolkien erinnert. Damit will ich nicht sagen, es handle sich hier um einen Abklatsch, ganz im Gegenteil! Das Werk ist absolut eigenständig. Leser, die in der Fantasy-Literatur besser bewandert sind als ich, werden mir bezüglich der Ähnlichkeiten möglicherweise nicht zustimmen. Mein Wissen über Fantasy beschänkt sich auf »Der kleine Hobbit« und die Trilogie »Der Herr der Ringe« von J. R. R. Tolkien, die ersten zwei Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett, die Xanth-Serie von Piers Anthony und ein paar Kurzgeschichten, die mir in gemischten Anthologien über den Weg liefen. Von Tolkien war ich sehr beeindruckt, Pratchett fand ich überhaupt nicht lustig, und an Piers Anthony schätze ich die Kombination aus Wortspielen, schrägem Humor und Gefühlen. »Lord Fouls Fluch« hat mich ähnlich wie »Der Herr der Ringe« beeindruckt: Eine gut ausgearbeitete Welt, die mit liebens- und hassenswerten Charakteren bevölkert ist. Tiefer werde ich hier aufgrund meiner Unkenntnis nicht bohren.

Als Wissenschaftler, der noch dazu im Bereich der pharmazeutischen Forschung arbeitet, bin ich über die Darstellung der Krankheit Lepra gestopert. Einige Informationen sind schlicht falsch, so daß die Krankheit nicht infektiös sei und daß sie manchmal einfach so entstehe. Lepra wird durch Mycobacterium leprae verursacht. Diese grampositive Bakterie hat einige Eigenarten, so ist es bislang nicht gelungen, sie außerhalb eines lebenden Tieres zu züchten, auch der genaue Ansteckungsweg ist ungeklärt, man muß sich aber längere Zeit in der Nähe eines Erkrankten aufhalten. Die Inkubationszeit (der Zeitraum zwischen Ansteckung und sichtbarem Ausbruch einer Infektionskrankheit) beträgt meist 2 bis 5 Jahre, kann aber in Einzelfällen nur wenige Monate, aber auch mehrere Jahrzehnte dauern. Das Bakterium befällt zunächst bestimmte Hautzellen sowie Nervenzellen und tötet sie dabei. Die daraus folgende Gefühllosigkeit kann zu unbemerkten schweren Verletzungen führen, in denen Sekundärinfektionen leichtes Spiel haben. Die Gefühllosigkeit tritt jedoch nicht wie im Buch dargestellt unbemerkt ein - die betroffenen Stellen sind mit Flecken deutlicher Hautveränderungen bedeckt, das Absterben der Nerven erfolgt nach und nach. Lepra ist, wie im Buch korrekt bemerkt wird, an sich nicht tödlich, dafür sind dann Sekundärinfektionen verantwortlich, in den letzten 2 Jahrhunderten meist die Tuberkulose. Die Behandlung wird widersprüchlich geschildert, einerseits sei Covenant geheilt, andererseits droht ihm stets eine Verschlechterung, wenn er seine penible Serlbstbeobachtung nach unbemerkten Verletzungen nicht durchführt. Das könnte eine ziemlich ungenaue Darstellung der zur Entstehungszeit des Buches üblichen Monotherapie mit Dapson, einem Antibiotikum aus der Familie der Sulfonamide, sein. Dabei kommt es während einer monate- bis jahrelangen Behandlung immer wieder zu Lepraausbrüchen. Die heute übliche Polychemotherapie war zur Entstehungszeit des Buches noch im Forschungs- und Erprobungsstadium, sie wurde 1982 zugelassen und führt recht schnell zur vollständigen Heilung, vor allem wenn die Krankheit schon im Frühstadium behandelt wird. Ironischerweise hat Contergan, das in den 60er Jahren während der Schwangerschaft zu schweren Mißbildungen führte, eine große Bedeutung bei der Leprabehandlung. Heute ist Lepra fast ausschließlich auf die Tropen beschränkt, die meisten Leprakranken gibt es in Brasilien, Zentral- und Ostafrika, Indien und Nepal. Im Mittelalter wütete die Lepra aber auch in Deutschland. In den USA waren 2002 96 Leprafälle aktenkundig.

Donaldson verwendet Lepra als Synonym oder Symbol des Ausgestoßenseins. Zunächst dachte ich, es ginge um unverschuldete Krankheit und Elend wie im Buch Hiob (mitunter auch Job genannt) der Bibel, aber es wird schnell klar, daß Covenant ein Aussätziger, ein Ausgestoßener ist. Er versucht zwar zu Beginn der Geschichte, noch in unserer Welt, dagegen anzukämpfen, hat sich aber in seinem Innersten längst damit abgefunden, sieht sich selbst als Ausgestoßenen und dreht daher den Spieß um, indem er einen Haß auf alle anderen entwickelt und nur noch völlig egoistisch handelt. Sich selbst gegenüber rechtfertigt er seine Handlungsweise, er müsse sich selbst gegen Beziehungen mit anderen Menschen verhärten, um sich selbst gegen das unweigerliche Ausgestoßenwerden zu immunisieren. Dabei fördert er seine Außenseiterrolle mit diesem Verhalten nur. Insgesamt finde ich Covenants Verhalten deutlich übertrieben - er beklagt sich ständig, daß er ein unschuldig Ausgestoßener sei, tut aber alles, um sich seiner Umgebung zu entfremden. Die Bewohner des Landes haben keine Angst vor ihm, da sie Lepra nicht kennen. Sie respektieren ihn und sehen in ihm durch seine verstümmelte Hand und den Ring aus Weißgold ihre einzige Hoffnung im Kampf gegen Lord Foul - was, wenn sie ihn näher kennenlernen, der einzige Grund ist, warum sie diesen fürchterlichen Egozentriker nicht töten.

Covenant selbst scheint überhaupt nicht zu realisieren was er seiner Umgebung zumutet. Er ist egoistisch und arrogant, meint, er täte den Leuten einen Gefallen, will andererseits aber keine Zugeständnisse machen. Er folgt der Kampfgruppe nur, weil er glaubt, es gebe keinen anderen Weg aus diesem Traum heraus. Erst zum Ende des Buches handelt Covenant einmal nicht eigennützig, und zwar bei seiner Begegnung mit den Ranyhyn, einer besonders edlen und intelligenten Pferderasse. Das finde ich besonders ironisch, denn zuvor wird mehrfach gesagt, daß Covenant Angst vor Pferden hat und er sie außerdem als Teil seiner ihn so schmählich verlassen habenden Frau betrachtet, da diese Einreiterin war. Dabei findet der Sinneswandel deutlich erkennbar während der Begegnung (ab S. 388) statt: Zunächst erkennt er endlich wirklich, was er Lena angetan hat, als er sie vergewaltigte, und gerät mal wieder in Wut. Dann befiehlt er in seiner üblichen Arroganz, die Ranyhyn zu rufen und findet seine besondere Stellung dadurch bestätigt, daß so viele wie nie zuvor bei einer Vorstellung dem Ruf folgen. Erst ein Kind muß ihm die Augen öffnen: Die Ranyhyn hassen und fürchten ihn! Er entschließt sich, einen Handel mit ihnen abzuschließen und sie nur zu rufen, wenn er sie wirklich braucht. Außerdem schickt er als Wiedergutmachung einen Ranyhyn zu Lena, da sie immer von den Ranyhyn geträumt hat. Von diesem Zeitpunkt an ändert sich Covenants Verhalten, er geht endlich wieder auf seine Umgebung ein. Seine schwere psychische Störung kann nun endlich zu heilen beginnen. Dies ist der Wendepunkt des Buches, denn nun will Covenant nicht mehr nur überleben, sondern beginnt, aktiv am Geschehen teilzunehmen.

Donaldson schreibt sehr poetisch. Wortwahl und verwendete Bilder und Metaphern erzeugen eine der jeweiligen Situation angemessene Stimmung, in die Covenants Verhalten meist nicht hineinpaßt. So wird der Zweifler auch stilistisch zu einem Fremdkörper in der Welt, in die es ihn verschlagen hat. Es werden auch immer wieder Verse und Lieder zitiert, die von der reichen kulturellen Vergangenheit des Landes künden und den poetisch-märchenhaften Charakter des Buches noch unterstreichen. Großes Lob gebührt dem Übersetzer Horst Pukallus, der Stimmung, Stil und Wortwahl sorgfältig über die Sprachbarriere hinweg übertragen hat. Die größte Leistung hat Pukallus an den Versen vollbracht: Sie reimen sich nicht nur, wie sich das im Deutschen für Verse gehört, sie haben sogar das richtige Versmaß!

Fazit: »Lord Fouls Fluch« ist ein poetischer und vielschichtiger Roman, der weit über die erzählte Fantasygeschichte hinausgeht. Die Handlung an sich ist nichts besonderes, das Buch gewinnt seine herausragende Qualität durch das, was nur versteckt gesagt wird, und durch den einzigartigen Stil, der durch einen hervorragenden Übersetzer richtig zur Geltung gebracht wird. Das Buch nutzt Genreelemente der Fantasy, um eine Entdeckungsreise in den Geist eines Ausgestoßenen zu machen, der dabei zum arroganten Egoisten wurde und schließlich durch hartnäckige Freundschaft und einige heilsame Schocks wieder den Weg in die Normalität zurückfindet. Auch wenn mir Fantasy eigentlich nicht liegt: Unbedingt empfehlenswert!


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Erstellt am Do, den 10.05.2007 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Fre, den 25.05.2007 um 13:36.