Sibylle Berg: Ende gut. Verlag Kiepenheuer & Witsch 2004, ISBN 3-462-03358-1, 19,90 Euro, »Hardcover« mit Leimbindung; Rowohlt rororo 2005, ISBN 3-499-23858-6, Taschenbuch, 9,90 Euro
Frau »so um die 40« fühlt sich alt, einsam, nutzlos etc. und jammert vor sich hin.
Tolle Inhaltsangabe, gell? ;-) Aber in der ersten Hälfte dieses »Romans« passiert tatsächlich *gar nichts*. Die namenlose »Heldin« schwafelt vor sich hin und jammert in einer Tour, sieht überhaupt nichts positives. Nun ja, Jammern ist in Deutschland ja seit etwa 10 Jahren »in«, einer der wenigen Exportartikel der neuen Bundesländer, der im Westen wirklich eingeschlagen ist... Nicht daß die »Ossis« keinen Grund zum Jammern hätten - vor der Wiedervereinigung ein System, in dem man in ständiger Angst lebte, nachher vom Westen gnadenlos ausgeplündert und plattgemacht in bestem Kolonialstil, komplett mit Erklärung der »Ossis« zu Menschen zweiter Klasse (weniger Geld für gleiche Arbeit etc.). Jammern ist aber unproduktiv und ziemlich schnell lästig!
Anzumerken ist, daß Sibylle Berg nicht nur wie ihre namenlose »Heldin« aus der ehemaligen DDR stammt und rumjammert, sie tut dies auf höchstem Niveau! Sie betätigt sich als äußerst genauer und präziser Beobachter und bringt vieles auf den Punkt, das bei oberflächlicher Betrachtung übersehen wird. Ich habe in diesem Buch viele neue Erkenntnisse gefunden und noch mehr gute Denkanstöße, aber es ist starker Tobak und von daher nur in kleinen Dosen verdaulich. Hätte ich dieses Buch nicht für den DSFP gelesen, hätte ich es spätestens um Seite 50 rum in die Ecke geschmissen und mir was netteres zu Lesen gesucht. Da wird die ganze Jammerlitanei zum vierten Mal wiederholt und todlangweilig, denn Handlung gibt es nicht, nur dies selbstbemitleidende Geschwafel.
So ab der Hälfte des Buches scheint sich die Autorin daran zu erinnern, daß auf dem Umschlag ihres Buches das Etikett »Roman« prangen soll (vielleicht hat ihr der Lektor auch eine wohlverdienten Tritt gegeben ;-) ), denn jetzt wird in das Geschwafel ein wenig Handlung eingestreut: Seuchen und Kriege brechen aus, die »Heldin« ist auf der Flucht - naja, sie läßt sich treiben und beobachtet und jammert weiter. Langsam wird sie etwas bescheidener und damit auch etwas weniger unzufrieden.
Fazit: Tja, sehr schwer zu sagen. Eines steht fest: Das Buch ist kein Roman! Eher ein viel zu lang geratenes Essay, das sich irgendwie mit dem Handlungs-Virus infiziert hat. Das Ganze ist in dieser Form (jedenfalls für mich) ungenießbar. Das heißt aber mitnichten, daß es schlecht wäre, ganz im Gegenteil! Das eigentliche Problem ist die Planlosigkeit der Autorin, die offenbar einfach ihre Gedanken »laut gedacht« zu Papier gebracht hat. Die Sprache ist nur scheinbar gewöhnlich und mit kurzen Sätzen arbeitend, bei gnauerer Beschäftigung entpuppt sich die Sprache als die eindringlichste und bestgehandhabte, die mir seit langem untergekommen ist! Viele Autoren meinen, ihre Sprachbeherrschung mit irgendwelchen Konstrukten unter Beweis stellen zu müssen, doch das hat Sibylle Berg nicht nötig, ihre einfache und klare Sprache vereinigt Inhalt und Aussage zu einem eindringlichen und doch leicht verständlichen Text, was der Auseinandersetzung mit der überaus komplexen Aussage (der Inhalt ist banal, aber so ist das Leben nun einmal) sehr zugutekommt. Kein Ausweichen auf Floskeln, die Dinge, meist unschön, werden genau so benannt, wie sie sind. Das Problem ist, daß die Autorin sich verzettelt. Ihre Gedanken kommen unsortiert, um nicht zu sagen konfus, und sie wiederholt ständig die gleiche Leier. Zwei Drittel des Buches könnten als redundant gestrichen werden, und niemand würde den Unterschied bemerken. Die Handlung ist nicht der Rede wert und völlig unerheblich, sie dient nur dazu, die »Heldin« aus Alltagstrott und Lethargie zu reißen, damit sie ihre Ansprüche runterschraubt und zwar nicht glücklich, aber wenigstens so etwas wie zufrieden wird.
Ist das Buch Science Fiction? Formal ja, es spielt irgendwann zwischen 2004 und 2009 (die wenigen zu Zeitangaben heranziebaren Bemerkungen widersprechen sich), und Europa und die USA sind im Handelskrieg. Dieser leicht angedeutete SF-Hintergrund ist aber wie die ganze Handlung völlig unwichtig und wohl eher Zufall als Absicht.
Ich empfehle der Autorin, die in diesem Buch verstreuten Gedanken zu sammeln, zu sortieren und dann vernünftig präsentiert in einem Essay von maximal 20 - 30 Seiten aufzubereiten. Das Ergebnis dürfte Spitzenklasse sein. In der jetztigen Form ist das Buch unverdaulich, konfus und durch die ständigen Wiederholungen todlangweilig. Auf höchstem Niveau mit hervorragenden Ideen, Beobachtungen und Schlußfolgerungen sowie mit herausragender und doch ungekünstelter Sprache, aber todlangweilig.
Copyright ©2005, 2006 Martin Stricker.
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Erstellt am Do, den 10.02.2005 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Mo, den 01.05.2006 um 12:21.